Hat das Mikrobiom ein Gedächtnis?

  • Ali Rıza AkınAli Rıza Akın
  • 2 Juli 2025

Wir bringen unseren Darm meist nur mit dem Verdauungssystem in Verbindung. Doch aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen eine starke Verbindung zwischen der Darmmikrobiota und der psychischen Gesundheit. Können psychosoziale Belastungen wie chronischer Stress, Traumata und emotionale Schocks dauerhafte Spuren in unserem Darm hinterlassen?

In diesem Artikel beleuchten wir die Beziehung zwischen Darm–Gehirn-Achse, Stress, Trauma und Mikrobiota anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Darm–Gehirn-Achse: Ein stiller Dialog

Zwischen Gehirn und Darm besteht ein wechselseitiges Kommunikationsnetzwerk: die Darm–Gehirn-Achse. Einer der wichtigsten Akteure in diesem System ist der Vagusnerv.

  • Emotionale Reize aus dem Gehirn gelangen in den Darm,
  • Veränderungen im Darm senden Signale zurück ans Gehirn.

    Symptome wie Übelkeit oder Durchfall unter Stress sind das Ergebnis dieser Kommunikation. Ebenso kann ein Ungleichgewicht der Mikrobiota zu psychiatrischen Symptomen wie Angstzuständen und Depressionen führen.

Hinterlassen Traumata Spuren in der Mikrobiota?
Studien zeigen, dass Kindheitstraumata, plötzliche emotionale Schocks und langanhaltender chronischer Stress die Zusammensetzung der Darmmikrobiota dauerhaft verändern können. Besonders früh erlebter Stress kann die Reifung der Mikrobiota stören und sowohl die Darmgesundheit als auch die psychische Widerstandskraft im späteren Leben schwächen.

Bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) treten häufig folgende Veränderungen auf:

  • Abnahme nützlicher Mikroorganismen: Schützende Bakterien wie Lactobacillus und Bifidobacterium können zurückgehen, was das Gleichgewicht des Immunsystems negativ beeinflusst.
  • Erhöhte Darmdurchlässigkeit (Leaky Gut): Eine geschwächte Darmbarriere ermöglicht das Eindringen von Toxinen und bakteriellen Produkten in den Kreislauf, was eine Neuroinflammation auslösen kann.
  • Chronische systemische Entzündungen: Der Körper verbleibt in einem Zustand niedriggradiger Entzündung. Proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-6 (IL-6) und TNF-alpha bleiben möglicherweise langfristig erhöht.
  • Dauerhafte Alarmbereitschaft des Immunsystems: Eine Überaktivierung der Immunzellen kann Autoimmunreaktionen begünstigen und die körperliche Belastung durch Stress verstärken.

Diese biologischen Veränderungen begünstigen nicht nur Verdauungsprobleme (Blähungen, Durchfall, Verstopfung), sondern auch psychische Beschwerden wie Angststörungen, depressive Symptome und Schlafstörungen. Die Auswirkungen von Traumata machen sich somit nicht nur psychologisch, sondern auch physiologisch über die Mikrobiota bemerkbar.

Chronischer Stress und die HPA-Achse

Die Auswirkungen von Stress auf die Mikrobiota werden auch durch die Hypothalamus–Hypophysen–Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) beeinflusst. Eine Überaktivierung dieser Achse kann die Tight-Junction-Proteine der Darmepithelzellen stören und die Darmbarriere schwächen. Dadurch steigt die Durchlässigkeit für Endotoxine (LPS), was systemische Entzündungen auslöst und neuroinflammatorische Effekte im Gehirn verursachen kann. Klinisch ist dieser Kreislauf mit Angstzuständen, Schlafproblemen und depressiven Symptomen assoziiert.

Akkermansia muciniphila: Der stressbekämpfende Darmfreund

Akkermansia muciniphila ist eines der vielversprechendsten Probiotika der letzten Jahre im Bereich der Darmgesundheit.
Diese besondere Bakterienart:

  • Ernährt die Schleimschicht, die die Darmwand auskleidet,
  • Hilft, das Leaky-Gut-Syndrom zu verhindern,
  • Kann Entzündungen reduzieren und das Immunsystem ausgleichen.

Probiotika mit Akkermansia, kombiniert mit einer passenden Ernährung und einem gesunden Lebensstil, können eine unterstützende Rolle für die Darm–Gehirn-Achse spielen.

Mikrobiota-Vielfalt und psychische Resilienz

Die Vielfalt der Darmmikrobiota stärkt nicht nur den Stoffwechsel, sondern auch die Belastbarkeit gegenüber Stress. Einige klinische Studien zeigen, dass Menschen mit hoher Alpha-Diversität eine ausgeglichenere Entzündungsreaktion auf Stresshormone wie Cortisol zeigen. Bakterien wie Akkermansia muciniphila, die die Schleimschicht stärken und entzündungshemmend wirken, können die schädlichen Auswirkungen von Stress auf die Darmdurchlässigkeit abmildern. Daher gilt die Förderung der Mikrobiota-Vielfalt durch ballaststoffreiche Ernährung, Polyphenole und fermentierte Lebensmittel als zentral für psychische Widerstandskraft.

Der Vagusnerv: Unser innerer Beruhiger

Der Vagusnerv ist der Hauptweg des parasympathischen Nervensystems und versetzt den Körper in den “Ruhe-und-Verdauungs-Modus”. Unter Stress nimmt seine Aktivität ab.
Folgende Methoden können ihn reaktivieren:

  • Tiefes Zwerchfellatmen
  • Meditation und Gebet
  • Kalte Duschen
  • Singen oder Summen

In Kombination mit psychobiotischer Unterstützung können diese Techniken sowohl die Darmmikrobiota als auch die Stimmung positiv beeinflussen.

Mikrobiota und Neurotransmitterproduktion
Die Darmmikrobiota reguliert nicht nur die Verdauung, sondern beeinflusst auch die Synthese von Neurotransmittern, die eng mit dem zentralen Nervensystem verbunden sind. Etwa 90 % des Serotonins werden beispielsweise im Darm durch enteroendokrine Zellen produziert und über die Darm–Gehirn-Achse in stimmungsregulierende Signale umgewandelt. Ein Ungleichgewicht im Darm kann somit zu psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen beitragen.

  • Nützliche Bakterienarten wie Lactobacillus und Bifidobacterium fördern die Produktion von GABA und Dopamin – zwei Neurotransmitter mit beruhigender und stabilisierender Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Lactobacillus rhamnosus ist dabei besonders bekannt, da er in Tierstudien durch Modulation von GABA-Rezeptoren die Stressreaktion reduziert hat.
  • Darüber hinaus spielt Akkermansia muciniphila eine wichtige Rolle bei der Reduktion von Neuroinflammation und dem Erhalt der Darmbarriere. Durch die Ernährung der Darmschleimhaut hilft es, das Leaky-Gut-Syndrom zu verhindern und schafft ein ausgewogeneres Mikrobiota-Milieu zur Regulation von Serotonin- und Dopamin-Stoffwechsel.
  • Einige Darmbakterien produzieren auch kurzkettige Fettsäuren (SCFAs), die wichtige Signale im Gehirn modulieren. Butyrat beispielsweise unterstützt die Blut–Hirn-Schranke, während Acetat und Propionat neuroprotektive und entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Dieses komplexe biochemische Netzwerk macht die Darmmikrobiota zu einem zentralen Akteur – nicht nur in der Verdauung, sondern auch für die neuropsychiatrische Gesundheit.

Behandle deine Mikrobiota gut – sie stärkt deine Seele

Jede Veränderung im Darm kann auch unsere Stimmung beeinflussen. Verdauungsprobleme in stressigen Phasen sind biologische Botschaften unseres Körpers.

Das Gleichgewicht der Mikrobiota zu bewahren ist nicht nur für eine gesunde Verdauung, sondern auch für einen widerstandsfähigeren Geist von entscheidender Bedeutung.

Pflege deine Mikrobiota – sie wird sich um dich kümmern.

San Francisco, Kalifornien, USA
Ali R. AKIN

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